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Keramikern Julia Geissler: Die Umdrehungskünstlerin

Teller, Maske oder beides? Bei den Arbeiten von Julia Geissler verschwinden die Grenzen zwischen Kunst und Gebrauchsgegenstand. Mit ihrem Label „3Sechzig“ zeigt die Salzburgerin aber zugleich, dass gute Formen nicht kompliziert sein müssen.

Wie geht man damit um, wenn man sich etwas vorgenommen hat, zunächst aber daran scheitert? Man könnte sein Ziel auf einen kleinen Zettel schreiben und diesen in der untersten Schublade seines Schreibtisches verstecken. Oder man könnte das Vorhaben gleich ganz aufgeben. Oder – eher ungewöhnlich – man könnte eine Firma gründen und sie nach seinem Ziel benennen. Die Künstlerin und Keramikerin Julia Geissler hat aber genau das getan: das Ungewöhnliche. „Ich bin in Kaprun in den Salzburger Bergen aufgewachsen und bin als Jugendliche viel Snowboard gefahren. Ich wollte unbedingt einen 360 schaffen, dabei hat es mich aber ziemlich zerlegt und ich habe das Vorhaben zunächst mal pausiert“, erzählt die 31-Jährige in ihrem Atelier in einem Kellerlokal im 3. Bezirk in Wien. Später sei sie auf der Suche nach einem Namen für ihren Instagram-Kanal gewesen und ist – inspiriert vom Trick – auf splashez360 gekommen. Für ihr Label hat Julia den Namen dann zu 360 bzw. 3sechszig geändert. „Ich mochte daran, dass die Zahl verschiedene Dinge porträtiert, die mir als Künstlerin wichtig sind. Ich möchte in meiner Kunst so lange und so gut wie möglich frei sein und mich an keine Sujets binden müssen. 3sechszig verrät auch nicht, was ich produziere, wer ich bin oder welches Geschlecht ich habe. Dadurch habe ich das Gefühl, machen oder lassen können, was ich will.“  Den 360-Trick auf dem Snowboard hat Julia aber noch nicht abgehackt: „Eines Tages möchte ich den Trick fix schaffen.“

Fotos: Sophie Köchert

Objekt-Landschaften aus Gefäßen und Skulpturen
Zwischen den Salzburger Bergen und ihrem Wiener Kelleratelier scheint es auf den ersten Blick nicht viele Gemeinsamkeiten zu geben. Doch das täuscht. „Im Winter ist es im Atelier ganz schön kalt. Wir haben zwar einen warmen Holzofen, aber trotzdem sitze ich an der Töpferscheibe mit langer Unterhose und Haube. Das hält warm“, meint sie. Das Atelier teilt sie sich mit Eva Maria Zangerle, die mit Glas und Keramik arbeitet. Fast fühlt es sich hier zur Weihnachtszeit an wie in einer Handwerksstube irgendwo zwischen Bregenzerwald und Hohe Tauern. Landschaften spielen auch in Julias Arbeit eine Rolle. „Mein Fokus liegt im Moment auf der Ausarbeitung von hochwertigen, keramischen Objekt-Landschaften bestehend aus Gefäßen und Skulpturen in verschiedenen Formen und Grüßen“, erklärt die Salzburgerin. Gleichzeitig mischt sie das Urbane und popkulturelle Phänomene in ihre Stücke. „Ich liebe Graphic Novels und Figuren aller Art. Daraus ziehe ich auch Inspiration für meine Keramik“. Über der Töpferscheibe hängt eine Master-of-the-Universe-Figur im Skeleton-Style. „Immer wieder schaue ich mich auf willhaben nach Figuren um und bin bei dieser hängengeblieben“, erklärt sie den Ursprung der Figur.

„Während der Corona-Pandemie habe ich mir Kettlebells bestellt, wie man sie aus dem Fitnessstudio kennt. Trainiert habe ich zwar nicht damit, aber beim Spielen mit der Playstation sind sie immer herumgestanden. Irgendwann habe ich mir gedacht, diese Form wäre super für eine Vase.“ 

Kunst am Teller
Die Materialien, die sie auf der Scheibe dreht oder Stück für Stück aufbaut, sind vorwiegend Steinzeug-Tone und Porzellan, die bei 1230 Grad hochgebrannt werden. Jedes Stück ist ein Unikat. „Ich finde es spannend, Keramiken zu machen, die man einerseits als Gebrauchsgegenstand verwenden kann. Andererseits sollen sie auch als künstlerisches Werk funktionieren.“ Dabei stellt Julia in ihrem Atelier größtenteils Flaschen, Vasen, Tassen, Trinkbecher und Teller her. Aber nicht ohne besonderen Dreh. Aufträge bekommt sie von namhaften Restaurants und Cafés.  So arbeitet sie derzeit an einer Tellerserie und Schalen für das Restaurant von Spitzenkoch Lukas Mraz (Mraz und Sohn) und das Café Kandl in Wien. Inspiration holt sich die 31-Jährige aber auch im ganz normalen Alltag. „Während der Corona-Pandemie habe ich mir Kettlebells bestellt, wie man sie aus dem Fitnessstudio kennt. Trainiert habe ich zwar nicht damit, aber beim Spielen mit der Playstation sind sie immer herumgestanden. Irgendwann habe ich mir gedacht, diese Form wäre super für eine Vase.“ 

Der Zufall hat seinen Platz
Zentral für ihre Arbeiten sind auch ihre Glasuren, mit deren Herstellung sie viel Zeit verbringt. „Meine Glasuren entwickle ich selbst und feile so lange an ihnen, bis sie nicht nur ästhetisch meinen Vorstellungen entsprechen, sondern auch im Gebrauch durch ihre Langlebigkeit Freude bereiten.“ Aber auch der Zufall hat seinen Platz. Vor allem, wenn die Glasuren anders rauskommen als geplant. Durch häufiges Testen und Brennen habe sie aber viel Erfahrung gesammelt. Das sei schonend für die eigenen Nerven, die Arbeitszeit und das Budget. „Aber der Zufall gehört natürlich dazu und macht die ganze Arbeit aufregend, da man bis zum Schluss damit rechnen muss, sich mit einem anderen Ergebnis zufrieden zu geben, als der ursprünglichen Überzeugung, davon, wie die Dinge zu sein haben.“  Das Material, so ist Julia überzeugt, formt die Künstlerin. Nicht umgekehrt.

„Aber der Zufall gehört natürlich dazu und macht die ganze Arbeit aufregend, da man bis zum Schluss damit rechnen muss, sich mit einem anderen Ergebnis zufrieden zu geben, als der ursprünglichen Überzeugung, davon, wie die Dinge zu sein haben.“ 

Das Keramikhandwerk gelernt hat sie als Schülerin an der Ortweinschule für Kunst und Gestaltung in Graz. Aber wirklich prägend war für sie Johanna Wibmer und ihre „Ein-Frau-Keramikmanufaktur“ in Lienz in Osttirol. „Johanna hat Dinge gesagt und getan, die bis dato meist als negativ und ziellos ausgelegt worden waren. Sie hat mich immer gepusht, dass ich in die Keramik gehen soll und gesagt: Mach! Es geht! Es ist das Beste!“  Noch nie habe Julia jemanden getroffen, der/die so stolz auf das eigene Tun gewesen sei. „Als alleinerziehende Mutter von zwei Kindern hat sich Johanna für diese Arbeit entschieden, um ihr Leben zu finanzieren. Das war beeindruckend für mich.“ Nach der Matura ging es für Julia weiter mit Druckgrafik an der Hochschule für Angewandte Kunst in Wien, wo sie heute lebt und arbeitet.

Das Gesicht als Maske und Teller
Seit 2012 trainiert Julia zudem klassisches Boxen und Thaiboxen – und sieht hier auch Parallelen zu ihrer Arbeit. „Der Sport verlangt viel Hingabe und Ausdauer, wenn man weiterkommen möchte. Sobald man die Sache aber schleifen lässt, wird man schnell daran erinnert, dass es so nicht geht. Es tut sonst am Ende immer weh, ein Sprung in der Schüssel ist nie gut. Wenn man aber endlich in Form ist und Kontrolle über die Situation hat, ist das ein unglaublich gutes Gefühl. Das strebe ich an.“ Aus dem Sport schöpft die 31-Jährige auch Inspiration für ihre Arbeit. Ein Foto der demolierten Gesichter zweier von ihr geschätzten MMA-Kämpferinnen hat sie als Anlass genommen, um einen Teller zu machen, der gleichzeitig wie eine Maske aussieht. „Solche Arbeiten mache ich am liebsten. Ein Teil, bei dem gar nicht mehr klar ist, wo das Kunstwerk aufhört und wo der Gebrauchsgegenstand anfängt.“ 

Der Sport verlangt viel Hingabe und Ausdauer, wenn man weiterkommen möchte. Sobald man die Sache aber schleifen lässt, wird man schnell daran erinnert, dass es so nicht geht. Es tut sonst am Ende immer weh, ein Sprung in der Schüssel ist nie gut.

Schicht für Schicht unter die Oberfläche
Humor ist der gebürtigen Salzburgerin wichtig und hat in ihren Arbeiten Platz. Aber in  der Auseinandersetzung mit ihren Stücken macht sich Julia auf die Suche nach Intimität, ihrer eigenen Identität und ihre Wahrnehmung der Welt. „Ich muss mich nicht unbedingt jemandem mitteilen, aber ich möchte verstanden werden. Meistens befinde ich mich in einem Dialog mit den Dingen, die mich umgeben, weil ich so am einfachsten beschreiben kann, was ich am stärksten fühle. Dadurch arbeite ich mich an Dingen wie dem Boxsport, Kettlebells oder Spielfiguren ab. Das ist aber nur die Oberfläche.  Darunter liegt das verborgen, was mich berührt und was ich berühren möchte.“ Schicht für Schicht – wie bei ihrer Keramik – arbeitet sich Julia an das heran, was sie ausdrücken möchte. Das Ergebnis muss deshalb nicht vertrackt sein. Ganz im Gegenteil. „Ich glaube, dass gute Formen nicht kompliziert sein müssen und versuche Arbeiten zu schaffen, die möglichst einfach kommunizieren, was ich vermitteln will. Wenn ich damit andere erreiche, dann weiß ich das sehr zu schätzen.“

„Ich muss mich nicht unbedingt jemandem mitteilen, aber ich möchte verstanden werden. Meistens befinde ich mich in einem Dialog mit den Dingen, die mich umgeben, weil ich so am einfachsten beschreiben kann, was ich am stärksten fühle.

https://www.3sechzig.biz/
@3sechzig

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